"Auf einmal habe ich angefangen zu kochen"
In den nebelverhangenen Tagen um Weihnachten herum ist vor der Messehalle 9 in Dornbirn einiges los: Im Minutentakt steigen auf den Parkplätzen vor dem Corona-Testzentrum die Menschen in ihre Autos ein und aus. Der Virus hat das Ländle fest im Griff. Nur einen Steinwurf von der Warteschlange entfernt, verschwindet völlig unentdeckt ein groß gewachsener Mann in schwarzer Jogginghose und weißen Sneakers – warm eingepackt in einer dicken Daunenjacke und mit Kapuze über dem Kopf – in der Nachbartür der Halle 7. Nur wenige ausgewählte Personen dürfen hier momentan rein, nur einzeln versteht sich. Und mit Maske, klar. Ein Desinfektionsmittel für die Hände steht ebenfalls bereit, direkt daneben ein kilometerlanger Aushang mit Verhaltensregeln. Vielleicht ein Labor? Nein. Der Mann ist Philipp Oswald. Der Tennisprofi geht auf den Plätzen des Campus seinem Beruf nach. Der 34-jährige Doppelspezialist aus Dornbirn, aktuell auf Platz 42 dieser Weltrangliste, bereitet sich hier auf den ersten Grand-Slam 2021 vor – die Australien Open.
Eine Berg- und Talfahrt
Eigentlich wollte Philipp diesen letzten Trainingsblock eigentlich zusammen mit seinem um vier Jahre jüngeren Doppelpartner Marcus Daniell angehen, „aber der sitzt in den USA fest und schickt mir immer Videos, wie er stattdessen halt Steine und Holzprügel durch die Gegend wirft, so wie Rocky“, scherzt der Zwei-Meter-Mann auf einem für seine Größe recht wacklig wirkenden Holz-Klappsitz, eine heiße Tasse Kaffee vor sich, die Ruhe selbst. „Nachdem sich wegen Corona nun wieder alles verschoben hat, werden wir uns erst zum Turnier in Florida Anfang Jänner treffen.“ Viel mehr wisse man als Tennisprofi aktuell noch nicht. Die Turnierveranstalter hätten aber extra Flugzeuge gechartert, die in Los Angeles, Dubai und Singapur die Athleten einsammeln und kostenlos für die Events nach Down Under bringen würden. „Eine gute Idee, denn für einen Normalsterblichen sind die Flüge nach Melbourne momentan echt schweineteuer“, erklärt der gebürtige Feldkircher. Dann muss er tief Luft holen: „Aber dann heißt es 14 Tage Quarantäne. Nur zum Training mit Marcus darf ich scheinbar raus, maximal fünf Stunden am Tag, essen dürfen wir nur auf dem Zimmer“. Da habe er schon einen gewissen Respekt davor und kratzt sich an der Nase. „Im Rückblick gesehen war das im letzten Jahr schon unglaublich“. Die dunklen Augen unter dem Wuschelkopf beginnen zu funkeln: „In Auckland waren ja meine Frau und mein Sohn dabei.“ Ein cooles Erlebnis sei es gewesen, den Finaleinzug im Januar 2020 beim „ATP-250er“ dort zusammen mit seiner eigenen kleinen Familie zu erleben. Danach ist es aber wie verhext: Zuerst zwicken Philipps Bauchmuskeln und dann schwächelt das Knie seines Kollegen aus Neuseeland, der als Wohnort „Barcelona“ auf seinem Spielerprofil angibt. Melbourne, New York, Delray Beach und Acapulco: Viermal in Folge fliegen die beiden in Runde eins raus. „Wir hatten nicht schlecht gespielt, aber der Saisonstart war natürlich katastrophal.“ Was dann passiert, verändert aber nicht nur Philipps Welt. „Als wir dazumal die Nachrichten aus China gesehen haben, hätten wir doch niemals gedacht, dass uns das auch einmal betreffen könnte.“
Das AMS ist keine Option
Der Tennis-Profi fliegt Hals über Kopf nach Hause ins Ländle in seinen – und unser – allerersten Lockdown. Besonders die gemeinsame Zeit mit seinem damals erst sechs Monate alten Sohn genießt er. „Irgendwann habe ich auf einmal angefangen zu kochen“, muss er lachen und erklärt, dass er noch nie in seinem Leben für so lange Zeit zu Hause gewesen sei. Keine Turniere, keine Liga im Ausland. Das bedeutet aber auch kein Einkommen. So ist es ihm nur recht, dass er ein paar Wochen als Trainer für einen verletzten Kollegen beim Campus auf dem Platz steht. In „Kurzarbeit“ spielt der Rechtshänder mit dem Service-Brett auch satte neun Einzel-Partien in der von Alexander Antonitsch kurzfristig ins Leben gerufenen Pro-Series. Für einen Doppel-Koloss mit knapp einem Zentner hinter dem Vorhandgriff stimmen die Ergebnisse zwar äußerst positiv, ist „Pipo“ nach dem Mammut-Programm aber klarerweise richtig platt und beginnt kleinere Brötchen zu backen. Denn eines wurde indes immer klarer: Die Pause würde noch länger dauern als anfangs gedacht. Und ohne Ziel vor Augen, sei es für ihn nicht leicht die für Profisport notwendige Motivation aufzubringen.
Zurück zu den Wurzeln
Im Juni bereiten sich derweil die heimischen Top-Klubs auf den Beginn der Bundesliga vor. Der TC Dornbirn bietet Philipp an, einmal für die Messestädter aufzulaufen. „Nur für ein Spiel wollte ich das nicht. Wenn ich Liga spiele, will ich Teil vom Team sein“, so sein Credo. Als dann auch der TC Altenstadt keinen Bedarf an seinen Diensten anmeldete, wurde der ATP-Spieler selber aktiv: „Ich habe den Kontakt zum ESV Feldkirch gesucht. Auch wenn ich in der Landesliga nichts verdienen würde, hatte ich einfach Bock darauf Tennis zu spielen und dabei ein paar Freunde von Früher zu treffen.“ Aber nicht nur Wiedersehensfreude und gut besuchte Zuschauerränge hat das „Oswald-Comeback“ zur Folge. Zu den Heimspielen der Eisenbahner treten neben dem außergewöhnlich starken A-Liganiveau auch neue Sponsoren auf den Plan. Das hat zur Folge, dass der Abstecher in den „Freizeitsport“ für Philipp schlussendlich auch aus wirtschaftlicher Sicht nicht umsonst ist.
„Wir können alle Top-Teams schlagen“
Nach 6 Monaten Zwangspause steigt das Aushängeschild des Vorarlberger Tennissports Ende August endlich in den Flieger zu den US Open, um sich dort mit seinem Doppelpartner zu treffen. „Marcus hatte während Corona ein bisschen zugenommen“, schmunzelt „Ossi“ und schiebt gleich hinterher, dass er sowieso ein paar Kilo mehr auf den Rippen bräuchte. Das Duo kann sofort einen Auftakterfolg gegen Marach/Klaasen verbuchen, stolpert im Achtelfinale aber gegen einen vermeintlich schwächeren Gegner. Und so kommt, was kommen muss: Beim Versuch der Titelverteidigung in Kitz, dem darauffolgenden Challenger in Forli (Italien) und den French Open in Roland Garros, kommt Sand ins österreichisch-neuseeländische Getriebe. „Wir haben dann auch noch in Parma ein ganz enges Ding in der ersten Runde verloren. Da waren wir am Boden“. Aber wo viel Schatten, da ist bekanntlich auch irgendwo Licht: Eine Woche später, am Finalsonntag der Sardinien Open – es ist der 8. Oktober – schlägt die Paarung Oswald/Daniell die weltranglistenführenden Kolumbianer Cabal/Farah klar mit 6:3 6:4 und der Dornbirner fixiert damit – ganz ohne Satzverlust – seinen 11. Titel auf der Tour. Heute sagt er: „Das war definitiv der schönste Sportmoment in diesem Jahr“. Mit dem Selbstvertrauen des Sieges in der Tasche kommen Philipp und Marcus richtig gut durchs Saisonfinale und reihen sich beide nahe der Grenze zu den Top-40 der Weltrangliste ein.
Was ist schon normal
Fit und hungrig auf die anstehenden Wettkämpfe lenkt Philipp das Gespräch auf die Weihnachtsfeiertage: „Da muss ich jetzt echt diszipliniert sein und darf mich nicht komplett wegschießen.“ Gutes Essen und etwas trinken gehöre nämlich im Hause Oswald schon dazu. „Aber halt in Maßen“, wird er noch einmal kurz nachdenklich, bevor er festhält: „In den letzten zehn Jahren ist das erst das zweite Mal, dass ich Silvester zu Hause verbringen darf.“ Angesprochen auf den Turnierstart im Jänner, weiß der U2-Fan bislang nur, dass er nach dem einzig möglichen Testlauf mit Marcus in Florida, die Quarantäne in Melbourne zu überstehen hat und dann entweder für Österreich beim ATP-Cup im Einsatz sein wird oder mit seinem Stammpartner bei einem der beiden „250-er“ im Melbourne-Park. Direkt im Anschluss ist es dann das Grand-Slam-Turnier, das für viele der begehrten Punkte sorgen könnte. Spätestens im Mai müssen dieselben nämlich wieder verteidigt werden und der Druck auf das Duo wächst. Die Vorfreude hat trotz allem einen fahlen Beigeschmack. „Das heißt, ich werde mindestens sechs Wochen unterwegs sein, das wird happig.“ Dann haut er sich selbst mit einem lauten Klatscher auf die Schenkel, erhebt sich von dem kleinen zittrigen Klapp-Sitz und sein Gesichtsausdruck verrät, dass es wohl noch längere Zeit dauern wird, bis wieder ein Hauch von Normalität im Alltag eines Tennisprofis einkehrt.